2. September 2011: Kherson (UA) – Lemberg (L’viv) – Jarosław (PL)
Tagesetappe: 1200 km
Um Mitternacht wollte ich an einer Shell-Tankstelle nach dem Tanken mit der Karte bezahlen, die funktionierte aber nicht, obwohl VISA ganz klar als Zahlungsmöglichkeit angeschrieben war. Ich mußte die letzten Bargeldreserven ausgeben und bei nächster Gelegenheit wieder Geld abheben.
Bei der Einfahrt nach Mykolaiv/Mykolajiw hielten uns zwei Polizisten an. Ich dachte, es wäre eine Routinekontrolle. Standardmäßig konnte ich nur Deutsch sprechen und wurde mit einer Laserpistole konfrontiert, auf der 78 km/h standen. Ich war mir sicher, nicht so schnell gewesen zu sein. Erlaub waren wohl nur 50. Einer der Polizisten verlangte meinen Führerschein und den Fahrzeugschein und nahm mich zum Polizeiauto mit während Taylan und Jonas im Auto blieben. Ich tat weiterhin so, als würde ich gar nicht verstehen, worum es ging und wies den Vorwurf von mir. Der Polizist blätterte in der ukrainischen Straßenverkehrsordnung herum und zeigte mir das 50-km/h-Schild und zeigte danach wieder auf die Laserpistole. Er malte „50 $“ auf einen Zettel. Ich weigerte, die zu bezahlen, worauf er mich sehr ungläubig ansah, weil er wohl noch nie so etwas erlebt hat. Während der gesamten Prozedur stand mein Auto mit Warnblinker auf der Straße herum und behinderte wohl das weitere Abzocken der Verkehrsteilnehmer, deswegen gab er mir mit einigen russischen Flüchen meine Papiere zurück und schickte uns weiter. An uns haben die korrupten Säcke heute nichts verdient – bis jetzt.
Von Mykolaiv wollten wir über Kirovohrad/Kirowohrad zur polnischen Grenze fahren. Aber in dieser Stadt – man kann es fast schon erraten – gab es keine sinnvolle Beschilderung in diese Richtung. Schilder, auf denen die Straßennamen, wir mußten zur H14, standen gab es schon gar nicht, und wenn ich einem Schild nach Kirovohrad folgte, führte diese Straße innert weniger Minuten zu einer Kreuzung, an der wieder nichts angeschrieben war. So verfuhren wir uns wieder und wieder in irgendwelche Sackgassen oder Industriegebiete, bis wir laut fluchend nun lieber den Umweg über Odessa in Kauf nahmen, anstatt dieses irre Spiel noch weiter mitzumachen.
Um drei Uhr morgens, es hatte gerade der erste (leichte) Regen seit Wochen eingesetzt, kaufte ich an einer Tankstelle noch 5 Liter Motoröl 15W40 für 177 UAH und Zigaretten, die ich für Freunde mitnahm. Die Schachtel Camel oder Lucky Strike 10,50 UAH, also weniger als 1 EUR.
In Odessa bogen wir in Richtung Kiew ab und kamen auf die neu gebaute Magistrale M05, die einer deutschen Autobahn in nichts nachstand und völlig spiegelglatten Asphalt besaß. Eine Wohltat! Ein Blick auf die Karte ergab, daß wir bei Uman auf die M12 in Richtung Lemberg (L’viv) abbiegen konnten, um nicht den Umweg über Kiew fahren zu müssen. Kurz vor der Abfahrt ruckelte der Wagen, ich konnte mich noch auf eine Tankstelle retten, um den dichten Hauptfilter zu wechseln. Der Tankwart war dagegen, daß ich das hier erledigte und laberte mich auf Russisch zu, ich gab mein Bestes, um ihn zu ignorieren. Taylan übernahm und ich versuchte, ein bißchen auf der Rückbank zu schlafen, ich saß seit über 20 Stunden am Steuer.
Die Straße war außerordentlich schlecht, es wäre wohl besser gewesen, über Kiew auf guten Straßen zu fahren als die 100 oder 200 km einzusparen. Auf ugf. halber Strecke zwischen Uman und Lemberg zog uns wieder einmal die Polizei raus. Wieder waren wir angeblich zu schnell. Taylan spielte das gleiche Spiel wie ich vor ein paar Stunden. Er stellte sich so lange blöd, bis eine der beiden Polizisten ihn zu sich ins Auto bat und dort weiterhin zulaberte und versuchte, ihm den angeblichen Tatbestand zu erklären. Ich stand neben dem Auto und Jonas blieb im Daimler. Irgendwann mußte Taylan die Beifahrertür hinter sich schließen und ich war vom „Gespräch“ ausgeschlossen. Hohe Anspannung. Nach weiteren fünf Minuten öffnete Taylan die Tür und sagte, es hätte wohl keinen Sinn und man hätte sich auf 10 Euro „Straff“ ohne „Prottokoll“ geeinigt. Er hatte keine Kohle mehr, daher holte ich zwei Fünfer heraus und ließ sie elegant auf die Beifahrerfußmatte fallen. Zug um Zug erhielt ich den Fahrzeugschein zurück und wir konnten weiter. Ich nahm wieder auf dem Fahrersitz Platz.
Bei Ternopil mußte wieder getankt werden. Als ich wieder auf die Straße fuhr, winkte mich ein Polizist schon heraus. 50 m hinter der Tankstelle war eine Polizeistation, die mir vorher nicht aufgefallen war. Ich wußte nicht, worum es ging. Offensichtlich nicht um Geschwindigkeit. Ich mußte den Führerschein und den Fahrzeugschein herausgeben, woraufhin der Polizist auf einem Zettel die Situation aufmalte. Ich sei über eine durchgezogene Linie gefahren, als ich die Tankstelle verlassen hatte, die gegenüber unserer Fahrbahn lag. Wie unglaublich lächerlich, die Linie war kaum noch zu sehen und anders kam man gar nicht auf die Tankstelle. Das versuchte ich ihm beizubringen. Er zeichnete auf, ich hätte dann halt so lange fahren müssen, bis ich auf einer gestrichelten Linie hätte wenden können. Offensichtlich passen sie hier jeden ab, der diesen angeblichen Fehler begeht, um ihn abzuzocken. Wieder einmal wollte man Schmiergeld in die eigene Tasche verdienen. Mir gingen diese korrupten Polizisten mittlerweile extrem auf den Sack, ich stellte mich absolut stur und sagte irgendwann nur noch, daß ich kein Russisch verstünde und nichts bezahlen würde. Der Polizist nahm mich in die Wache mit und begann, ein Formular auszufüllen. Er erklärte mir, damit müsse ich dann zur Bank fahren, das Geld, 250 UAH, einzahlen und wieder zurück kommen, um meine Dokumente zurück zu bekommen. Das alles in einer solch drohenden Weise, daß er wohl damit versuchen wollte, mich doch zu einem Schmiergeld zu überreden. Doch ich blieb weiter stur.
Das Ausfüllen des Protokolls brach er dann ab, um mich ab sofort nicht mehr zu beachten und wieder an die Straße zu seinem Kollegen zu gehen. Die standen nun beisammen und begannen offensichtlich, sich über uns lustig zu machen. Immer wieder fragten sie mich dann irgendwas, was ich nicht verstand. Hin und wieder sagte ich ihnen etwas auf Englisch, wobei sie mir weismachen wollten, daß sie mich nicht verstünden. Aufgrund einiger Reaktionen und Handlungen hatte ich aber bemerkt, daß sie sehr wohl zumindest ein bißchen Englisch verstanden. Ich fragte sie, ob sie etwa denken würden, daß ich jemals in die Ukraine zurück kommen würde, wenn ich von den Polizisten hier ständig so behandelt werde. Ich bat sie immer wieder, uns einfach fahren zu lassen. Ich spekulierte darauf, daß ich dann lästig werden würde. Der Daimler stand immer noch herum und machte so andere Fahrer ein wenig auf die Kontrolle aufmerksam. Der andere Polizist versuchte mit seiner Laserpistole weiter, zu schnell fahrende Autos anzuhalten. Nachdem wir weitere 10 bis 15 Minuten draußen herumgestanden hatten und ich die letzten fünf Minuten dann so getan hatte als hätte ich ewig Zeit, gab mir der Polizist, der das Gespräch mit mir führte, die Dokumente zurück und verabschiedete mich mit einigen russischen Grußformeln, die wahrscheinlich nicht besonders nett waren. Wir waren wieder mit einem blauen Auge dieser unfaßbaren proletenhaften Willkür entkommen.
Wir waren uns einig, offensichtlich den schwarzen Freitag für die Heimfahrt erwischt zu haben, und als der Blutdruck gerade wieder einigermaßen auf Normalniveau angekommen vernahmen wir ein unsägliches Geräusch von hinten links. Es hörte sich an, als wäre irgendetwas schlimmes passiert. Feder- oder gar Achsbruch? Bei den vielen Schlaglöchern nicht abwegig. Ich hielt sofort in einer Senke an. Es war zum Glück nur ein platter Reifen. Was heißt hier zum Glück? Es hätte keinen unglaublicheren Zeitpunkt für so etwas gegeben. Seit bald 5 Jahren fuhr ich kreuz und quer Auto, schon über 150.000 km, und nie hatte ich eine Reifenpanne. Aber genau heute, während dieser Pechsträne, nachdem wir drei Ersatzreifen weggeworfen hatten, hatten wir einen Platten. In Windeseile luden wir den Kofferraum aus und ich nahm das letzte Ersatzrad aus der Reservemulde und wechselte den Reifen hinten links. Nach 10 Minuten konnten wir weiter und mußten erst einmal eine Tankstelle mit Druckluft suchen, denn auch der Reservereifen war fast platt. Zum Glück hielt er die Luft, die wir an der dritten oder vierten Tankstelle endlich bekamen.
Gegen halb vier erreichten wir Lemberg. Die Stadteinfahrt begrüßte uns erst einmal mit einigen Baustellen und einer der schlimmsten Straßen der Reise. Es folgte fieses Kopfsteinpflaster in einem Großteil der Stadt und, wie sollte es anders sein, wieder das Phänomen der unglaublich schlechten Beschilderung. Wenn überhaupt einmal etwas angeschrieben war, dann irgendwelche Dörfer oder Stadtteile, die nicht auf unserer Karte zu finden waren. Die Grenze nach Polen oder irgendein Ort, der in dieser Richtung lag, war es natürlich nicht. Wir wollten irgendwo eine Kleinigkeit essen, aber fanden weder einen Imbiß noch einen Supermarkt. Bis wir die richtige Straße gefunden und uns durch den Stau (364 Tage im Jahr fließt der Verkehr hier bestimmt einwandfrei) hatten, waren über 1,5 Stunden vergangen und unsere Laune noch weiter als überhaupt vorstellbar nach unten gesunken, aber das Beste kam erst noch.
Um 17 Uhr holte ich noch einmal 250 UAH an einem Automaten und füllte damit den Tank bis zum Überlaufen, anschließend erreichten wir die ukrainisch-polnische Grenze bei Krakovets. Nie hätte ich mir gedacht, daß ich mich einmal so auf Polen freue. Wir stellten uns an einer langen Schlange an, die sich nur ca. alle 20 Minuten ein Stück nach vorne bewegte. Immer wieder zogen links der Schlange Autos vorbei bis zum Militärposten ganz vorne, wahrscheinlich hatten sie Schmiergeld bezahlt oder waren VIPs. Erst nach gut 1,5 Stunden waren wir von der ersten in die zweite Warteschlange vorgefahren und erhielten in einem ersten Posten einen Ausreisetalon. Wieder warteten wir weit über eine Stunde, bis wir zur Abfertigung kamen. Die Sonne war schon untergegangen und damit hatte sich auch unser Besuch in Auschwitz zerschlagen. Während wir warteten, rechneten wir mit der Ukraine ab, auf absehbare Zeit werden wir nicht wiederkommen. Odessa und die Krim waren zwar schön, aber der Rest hatte es uns mehr als nur vergällt. Da wir den ganzen Tag nichts gegessen hatten und auch in Lemberg nichts fanden, aßen wir Brot mit Ketchup und planten, den ersten McDonald’s in Polen anzusteuern.
Ein paar Wagen vor uns stand ein Wagen mit Traunsteiner Kennzeichen. Der war überaus demoliert und hatte Schrammen und Beulen von vorne bis hinten. Ich sprach den Fahrer an und fragte, was passiert sei. Er war kasachischstämmig und arbeitete in Bayern. Er war mit dem Wagen auf Heimaturlaub in Kasachstan und hatte in Rußland einen Unfall, bei dem er von einem LKW-Fahrer im Sekundenschlaf auf einen anderen LKW geschoben wurde. Hätte dieser in letzter Sekunde nicht doch noch ein bißchen gebremst, wäre der Kasache wohl gestorben. So hatte er nun den Streß, den Wagen nach Deutschland zurückbringen zu müssen und sich mit der russischen Versicherung herumschlagen zu dürfen. Er rechnete sich keine großen Chancen aus, Geld wiederzubekommen. Auch er regte sich über die Ukrainer auf, denn der Abschlepper, der ihn von der Grenze bis nach Deutschland bringen sollte, wartete auf polnischer Seite schon über eine Stunde. Wir konnte zusehen, wie die Arbeit an den Schaltern und bei der Fahrzeuguntersuchung immer wieder einfach mal für 5 oder 10 Minuten unterbrochen wurde. Als wollte man hier diese ewigen Wartezeiten geradezu produzieren.
Als wir endlich an der Reihe waren, wurden wir direkt abgefangen und in eine Halle gebeten, wo das Auto untersucht werden sollte. „Ich glaube, wir kriegen das volle Programm!“ sagte ich. Und so war es auch. Der Zöllner, der mit seinen dicken Backen und der Glatze aussah wie ein viel zu groß geratenes Baby, nahm seine Sache sehr genau und räumte den gesamten Kofferraum aus und durchsuchte unsere Taschen. Dabei kam der Krimsekt, der Wodka und die Zigaretten zum Vorschein. Er fragte nach den Besitzverhältnissen, die auch in Ordnung waren. Wir hatten nicht mehr als erlaubt dabei, wobei ich mich fragte, warum ihn das bei der Ausreise denn interessierte. Dennoch war er offensichtlich sehr darauf fixiert, irgendetwas zu finden. Er klopfte die Türpappen ab (!) und versuchte, die Trennwand zwischen Kofferraum und Tank auszubauen, wobei er an den beiden Schrauben scheiterte. Am Ende fand er noch eine Schachtel mit einem (!) Zigarillo, den er mir drohend vor die Nase hielt. Keine Ahnung, was das sollte. Taylan sagte später dazu: „Wahrscheinlich wollte er sich mal wie die großen Jungs fühlen, die kiloweise Kokain aus LKWs herausholen und es sich dementsprechend leisten können, herablassend auf ihre Opfer zu blicken.“ Mit dem Abgleich der Fahrzeugidentifikationsnummer stellte er noch sicher, daß der Wagen nicht geklaut war. Wir durften dann alles wieder einräumen. Irgendwas veranlaßte ihn schließlich doch dazu, zu glauben, daß wir nichts verbotenes dabei hatten. Er hielt mir einen komplett kyrillischen Zettel hin, den ich unterschreiben sollte, damit wir weiter konnten.
Wir durften uns wieder einreihen und hatten wieder einen Haufen Leute zwischen uns und der Paßkontrolle, da inzwischen wieder Autos vorgelassen wurden. Die Dame im Häuserl übernahm sich nicht gerade mit Arbeit und brauchte ewig, um die Daten in den Computer einzugeben, den Stempel zu setzen und den Paß zurück zu geben. Ich zitterte mittlerweile am ganzen Körper vor Erschöpfung, Wut und Anspannung und konnte auf einmal nachvollziehen, wieso manche Leute Amok laufen und wie sich das anfühlt. Die sind dann in einer ähnlichen Situation, haben eine Waffe zur Verfügung und dann knallt es. Als die Paßkontrolle erledigt war, standen wir wohl schon über viereinhalb Stunden an dieser Grenze. Nun konnten wir endlich fahren, dachte ich. der Militärschalter war unbesetzt, also fuhren wir zur polnischen Grenze. Dort stand ein letzter Soldat, der den Talon entgegen nahm. Nein, wir konnten nicht fahren, weil der Stempel vom Militär fehlte. Nun explodierte ich. Mein Blutdruck hätte wohl mit bar gemessen werden müssen. Ich ließ den Wagen vor Ort stehen und lief zum Grenzkomplex zurück. Jetzt war mir alles egal. Der Militär rief mir hinterher, doch ich ignorierte ihn. Am Militärschalter angekommen saß nun wieder jemand. Der war wohl einfach weg gewesen und eine Vertretung für seinen Gang zur Toilette oder sonst wo hin gab es nicht. Der Typ nahm die Pässe entgegen, gab die Daten zum x-ten mal in einen Computer ein, und setzte den zweiten Stempel auf den Talon. Nun konnten wir dieses Drecksland verlassen. Wenn sich nicht ganz schnell etwas ändert oder man sich extrem verstellt, wird die EM 2012 hoffentlich eine sehr negative Publicity für dieses Land geben. Angeblich soll es am ein paar Kilometer südlich gelegenen Grenzübergang Shehyni besser zugehen.
Wir standen nun vor der polnischen Einreise. Wird der Terror weitergehen? Ganz im Gegenteil! Eine junge, sehr freundliche Dame, bat uns auf Deutsch (!) um die Pässe und den Fahrzeugschein. Sie sah kurz in den Kofferaum. Klappe auf, in Ordnung, Klappe zu. Einen Stempel konnte sie uns leider nicht geben, aber dafür waren wir keine 10 Minuten nach der Ausreise aus der Ukraine in Polen eingereist und konnten fahren. Alle Anspannung fiel sofort von uns ab. Taylan übernahm das Steuer, weil ich endfertig war. Am nächsten McDonald’s sollte er mich wecken. Ich schlief wie ein Baby, weil es keine Schlaglöcher mehr gab. Die Straßen waren einwandfrei. Das 18. und letzte Land.