27. August 2011: Vama Veche (RO) – Fähre Galați – Vulcaneşti (MD)

Tagesetappe: 340 km

Um 13 Uhr fuhren wir los und verabschiedeten uns von diesem grandiosen Ort, den wir auf jeden Fall wieder besuchen wollen. Vielleicht schon nächsten Sommer? Über völlig anständige Straßen mit sehr angenehmer Fahrweise der anderen Verkehrsteilnehmer fuhren wir bis Constanța, wo wir in einem möglichst modernen Supermarkt einkaufen gehen wollten. Wir fanden einen real,- (44°11'30.21"N, 28°35'58.51"E), in dem wir alles notwendige einkauften und uns an der heißen Theke bedienten. Das ist echt ein Segen in den osteuropäischen Ländern. Sollte man in dem Ausmaß auch mal bei uns einführen. Es gab frische Pizza, Gemüse und Fleisch in diversen Variationen.

Wir suchten anschließend ziemlich lange nach einem guten Platz zum Picknick, fanden aber nichts und hielten schließlich in einem recht einsamen Dorf entlang der Straße an. Irgendwie war das jedoch gleichzeitig eine Art Bushaltestelle. Ein Typ stieg aus einem VW-Bus aus und stand dann neben uns und laberte uns auf Rumänisch zu. Wir verstanden nichts, aber er wollte nicht weggehen, bis dann schließlich sein „Anschlußbus“ kam und er endlich weg war.

Um ca. 16 Uhr waren wir in Tulcea, wo das Donaudelta beginnt, und bogen in Richtung Osten ab. In Nufăru, wo laut unsere Karte eine Fähre über die Donau gehen sollten, standen wir am Pier und waren reichlich desillusioniert. Die Fähren sahen recht schäbig aus, abgesehen davon war weit und breit niemand anders zu sehen. Keiner, der uns weiterhelfen konnte. Auch gegenüber war lediglich ein staubiger Straßenverschnitt zu sehen. Wir kamen jedenfalls nicht weiter. Wir machten ein paar Beweisphotos und beschlossen, lieber nach Moldawien weiterzufahren. Das hier ist wohl wirklich etwas für organisierte Reisen.

Wir fuhren entlang der Donau nach Westen und sahen am Ortsrand von Tulcea mit einem riesigen halbverfallenen Industriekomplex ein wirklich eindrucksvolles Relikt der kommunistischen Industriekultur. Es wurde etwas hügelig, die Landschaft war recht schön anzusehen. Kurz nach 18 Uhr standen wir am Fähranlieger bei Galați. Das Schiff, das uns über die Donau bringen sollte, war noch auf der anderen Seite und wir mußten gute 30 Minuten warten. Die nächste Brücke über die Donau liegt über 75 km Luftlinie südlich. Das Ticket kostete 22,50 RON.

Die Zeit nutzte ich dazu, das Türfangband, das schon seit Istanbul vor sich her knackte, wieder richtig hinzuschrauben, den Dieselvorfilter zu reinigen und unsere Bargeldreserven in der Fahrertür zu verstecken, da wir vor den moldawischen und transnistrischen Grenzern etwas Muffensausen hatten. Es gibt dazu mal wieder jede Menge Horrorstorys bezüglich Bestechungsgeldern. Daher nahmen wir insgesamt nur ca. 100 EUR in unseren Portemonnaies mit, sodaß wir im Ernstfall hätten sagen können, daß wir nicht mehr dabei hätten und wir unser restliches Geld auf den Geldkarten hätten.

Während der Fährfahrt ging die Sonne unter. Galați (Galatz) stellte sich als recht farblose Industriestadt heraus, die uns auch noch mit einer Baustelle direkt hinter dem Fähranlieger strafte. Gut 12 km hinter Galați erreichten wir die rumänisch-moldawische Grenze. Rumänien hatte uns sehr gut gefallen. Ich will auf jeden Fall noch einmal herkommen und mir noch das ganze Landesinnere ansehen. Nun ging es nach Moldawien (offiziell Moldova oder Republik Moldau), ein weißer Fleck auf den inneren Landkarten der meisten Leute in Deutschland. Wer auf der Straße könnte schon etwas darüber erzählen oder gar auf der Karte deuten, wo das liegt? Hinter dem Ural? Am Kaukasus? Gibt’s das überhaupt?

Dabei ist die Geschichte dieses kleinen Landes durchaus interessant. Das frühere Bessarabien, das immer wieder Zankapfel zwischen dem Osmanischen Reich, Rußland oder Rumänien war, ist ein junger Staat, 1991 von der Sowjetunion unabhängig geworden und dennoch nicht vollständig souverän. Neben der autonomen Republik Gagausien (w) (die Gagausen sind ein Turkvolk, das eine mit dem türkischen verwandte Turksprache spricht und deren Herkunft nicht 100%ig geklärt ist), das wenigstens noch unter der Kontrolle Moldawiens steht, gibt es auch noch die abtrünnige Republik Transnistrien (w), die seit einem kurzen aber heftigen Krieg 1992 (w) de facto ein eigenständiger Staat ist und UdSSR spielt. Mit Hammer, Sichel, Rubel, einem obersten Sowjet und allem was dazugehört. Der Staat ist von keinem anderen anerkannten Staat der Erde anerkannt und wird völkerrechtlich immer noch zu Moldawien gezählt, obwohl dort seit gut 20 Jahren ein ganz anderes Spiel gespielt wird als im Nachbarland. Und genau da wollen wir hin.

Der rumänische Grenzer sah zwar sehr grimmig aus, als er uns empfing, begrüßte uns aber sehr herzlich und ließ uns fahren, nachdem er Fahrzeugschein und Versicherungskarte (bei der Ausreise!) in Augenschein nahm. Wir reihten uns in die Warteschlange ein und standen eine halbe Ewigkeit auf der Grenzbrücke über dem Prut, der die gesamte Grenze zwischen Rumänien und Moldawien markiert, herum. Es wurden immer nur 5-10 Autos am Stück durchgelassen und zu allem Überfluß durften Reisebusse an der Autoschlange vorbeifahren.

Als wir nach über einer Stunde endlich dran waren, empfing uns eine große blonde Dame mit Brille und Stöckelschuhen, die sehr nach einer strengen Lehrerin aus einem sehr schlechten Porno aussah. Bemerkenswerterweise war sie nicht die einzige, die hier so rumlief. Als hätte der Staat die Grenzerinnen nicht nach Qualifikation, sondern nach Aussehen eingestellt. Sie nahm die Pässe und verschwand. Lange. Alle Autos, die mit uns vorgefahren waren, waren mittlerweile schon durch. Da erhielt ich endlich die gestempelten Pässe zurück und wurde vom dahinter postierten Zöllner angewiesen, zur Bank im Grenzhäuschen zu gehen. Warum, das konnte man mir nicht sagen, und auch bei der Bank sprach keiner Englisch. Die Dame dort malte „5 €“ auf einen Zettel. Die überreichte ich und erhielt eine Quittung sowie 42 moldawische Mickeymaus zurück. Die Ökosteuer (37,50 MDL) war damit bezahlt. Als das erledigt war und der Zöllner mich aus dem Gebäude kommen sah, sahen wir uns kurz an, er sah den Zettel und rief „Goodbye!“. Wir konnten fahren, es war schon 22 Uhr. Staat Nr. 15.

Im Grenzort Giurgiulești liefen viele Jugendliche auf der Straße herum, da wohl gerade Volksfest war. Wir ließen ihn schnell hinter uns und überholten drei im Konvoi fahrende russische Autos, die wohl gerade auf dem Weg in die Heimat waren. Wir schlugen den Weg nach Vulcănești ein. Wir wußten nicht, wo wir schlafen sollten und fuhren daher erst mal in Richtung Tiraspol, der Hauptstadt Transnistriens, weiter. Bis dahin waren es noch 255 km. Nicht zu schaffen, erst recht nicht beim unberechenbaren Straßenzustand, der bis hierhin aber noch sehr in Ordnung war.

Gute 20 km nach der Grenze hielten wir kurz an, um den Sternenhimmel zu genießen. Es war weit und breit keine Zivilisation und damit irgendeine größere Lichtquelle vorhanden. Die Milchstraße war so deutlich zu sehen wie ich es noch nie erlebt hatte. Sie zog sich als Band von einem Horizont über den Zenit zum gegenüberliegenden Horizont. Umwerfend! Wir rauchten eine, während wir begeistert in den Himmel schauten und hörten von allen Himmelsrichtungen die streunenden Hunde bellen. Ich sagte zu Taylan: „Also ich bin ja recht abgehärtet, aber hier wild zu campen, ist selbst mir zu mulmig.“

Wir befanden uns weitab jeglicher Zivilisation und die Wahrscheinlichkeit, auf ein halbwegs anständiges Motel zu treffen, war für uns ungefähr so klein wie die Sterne, die wir zu Milliarden über uns prangen sahen. Doch dann kam die erste größere Stadt seit der Grenze: Vulcănești. Dort gab es tatsächlich ein riesiges Hotel, wo auch die russischen Autos davor standen, die uns bei unserer Rast wieder überholt hatten. Ich ging hinein, aber konnte der Rezeptionistin und dem Hotelpagen auch mit Händen und Füßen nicht klarmachen, was ich wollte. Auf dem Kalender auf der Theke fielen mir die türkischen Buchstaben auf, zum Beispiel das „i“ ohne Punkt oder das „g“ mit dem Haken drüber. Ich fragte: „Türkçe?“, und als sie zögernd nickte, dämmerte es mir, daß ich es wohl mit einer waschechten Gagausin zu tun haben mußte. Wie ich später nachlas, waren wir bereits in der „Autonomen territorialen Einheit Gagausien“. Ich rief Taylan hinein, er konnte das ganze tatsächlich mit ihr klären, auch wenn sie für ihn einen ziemlich krassen Dialekt drauf hatte. Kann man vielleicht mit dem Unterschied zwischen Schweizerdeutsch und Hochdeutsch vergleichen. Das Zimmer kostetete 37 EUR die Nacht. Es war wirklich riesig und völlig in Ordnung, wenn nicht sogar überdimensioniert. Wir parkten den Wagen auf dem Hotelparkplatz, surften dank WLAN noch kurz im Internet und schliefen, nachdem es uns gelang, den kläffenden (oder streunenden?) Hund vom Nachbargrundstück zu überhören.

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