22. Juli 2010: jour de désillusion – Stadtbesichtigung Fez

Am frühen Morgen erreichte mich eine SMS von Hanna. Wir sollten zur CTM-Busstation fahren und dem Fahrer des 12-Uhr-Busses nach Chefchaouen den Schlüssel mitgeben. Ich delegierte diese Aufgabe gekonnt an Francis, der sich mit Taylan als Übersetzer auf den Weg machte. Während die beiden weg waren und ich mich etwas um den Zustand des Innenraums und des Autos an sich sowie die überfällilge Dusche gekümmert hatte rief Ali an. Die Stadtführung müsse auf 16 Uhr verschoben werden. Paßt, vor allem weil ich ja noch nicht wußte, wann Taylan und Francis zurück sein würden.

Gegen halb zwei kamen die beiden zurück und Taylan wußte von der Odyssee wie folgt zu berichten: Ein marokkanischer Mitcamper fuhr die beiden zur nächsten CTM-Station. Solch Hilfsbereitschaft ist zwar nicht selten aber kostet selten nichts. Hier schon. Er wollte kein Geld. Die beiden brachten vor Ort in Erfahrung, daß am Tag lediglich zwei Busse von hier nach Chefchaouen fahren: Einer um acht und einer um elf. Es stellte sich heraus: Falsche Busstation. An einer anderen CTM-Station in dieser völlig übersichtlichen Millionenstadt fuhr dann ein Bus, den die beiden gerade noch erwischten.

Sie drängelten sich durch die schwitzende Menschenmenge, fragten, gestikulierten, stotterten und landeten letztlich an einem Ticketschaltersurrogat. Der lauteste von allen, dessen wilde Gestiken mit seinem Terroristenbart korrespondierten, erwies sich als ihre Schlüsselperson. Er telefonierte kurz mit Mahmud auf Arabisch, nahm den Schlüssel und man hielt die Sache für erledigt. War sie jedoch nicht. Mittlerweile hatten sich mehrere Marocs um die beiden Weißen versammelt und jeder witterte seine Chance auf einen kleinen Dirham-Regen. Der Schlüsselmann rieb Daumen und Zeigefinger aneinander, woraufhin Taylan ihm 20 Dirham in die Hand drückte. Auftrag erledigt.

Von Hanna und Mahmud haben wir danach nichts mehr gehört, am späten Abend war letztlich der Akku des Marokkohandys leer. Ein Ladegerät für das Nokia hatte ich nicht dabei.

Die Zeit bis Alis Ankunft wollten wir uns im angrenzenden Schwimmbad, das man als Campinggast kostenlos über einen Hintereingang betreten darf, vertreiben. Die Aufmachung desselben war sicherlich nicht schlecht und übertrifft in Sachen Rutsche und Wasserbeckengrößen alle Wiesbadener Freizeitbäder – was eventuell auch der Abwesenheit von TÜV und etwaigen Sicherheitsbeauftragten geschuldet ist –, jedoch waren die Becken, die mehr aus Marokkanern als aus Wasser bestanden auffallend dreckig. Mehr als einen kleinen Sprung in das kühle Naß erlaubten wir uns nicht, auch weil wir anschließend den unbedingten Drang nach einer Dusche verspürten. Immerhin waren die Duschräume des Schwimmbades sauber und in besserem Zustand als die sanitären Anlagen des Campingplatzes.

Es fiel auf, daß die verschleierten (älteren) Kopftuchdamen auf der Wiese blieben oder allerhöchstens mit Kleidung ins Wasser gingen, während sich direkt daneben junge Marokkanerinnen im Bikini sonnen. Wie vieles hier ein Sinnbild für den marokkanischen Spagat zwischen Mittelalter und Neuzeit.


Abseits auf dem Campingplatz Diamant Vert in Fez

Rundblick Camping Diamant Vert in Fez

Wir trafen uns mit Ali am Eingang des Campingplatzes und fuhren mit unserem Auto in die Innenstadt. Erster Halt war der Königspalast „Dar El Makhzen“ mit den sieben Toren, er erklärte uns die Geschichte des Palastes und die Bedeutung der Mosaiksteine, Taylan übte sich währenddessen wie so oft in der Photographie.



Am Königspalast – Ali trat stilsicher mit lila Hemd auf

Er stellte sich als Dozent der Universität Fez vor und erzählte, er habe dort Englisch und Deutsch gelernt. Das klang nicht sehr glaubwürdig, warum sollte so jemand dann mitten in der Woche halbtägige Stadtführungen für umgerechnet 15 Euro machen? Egal, ist nicht mein Bier. Sein Deutsch war gut und beinahe akzentfrei, lediglich seine Wortwahl war teilweise schräg. Wir fuhren weiter auf eine kleine Anhöhe inmitten von Ruinen, vermutlich der ehemaligen Stadtbefestigung, von der man einen sehr imposanten Blick auf die Altstadt hatte.




Folgendes Bild ist dem einen oder anderen bereits aus anderen Berichten bekannt:

Wieder im Tal führte Ali uns auf einen bewachten Parkplatz und hinein in die Medina. Ohne ihn hätten wir wahrscheinlich nicht mehr zurückgefunden. Erste Station der nun folgenden unfreiwilligigen und für Unmut sorgenden Shoppingtour war die Gerberei. Dort empfing uns ein eifriger englischsprechender Verkäufer, der uns zunächst auf den Balkon mit Blick auf die Gerberei und Färberei führte. Den wirklich unglaublich abartigen Gestank konnten wir nur mit dem Pfefferminz, den er uns vorher gab, einigermaßen abmildern, doch war dies trotzdem der ekelhafteste Geruch den ich je wahrnahm. Gleichzeitig sah man unten die Kinder auf den Kübeln hocken, während links und rechts die Tierhäute verwesten. Na Prost Mahlzeit!

Wir wurden anschließend in den „Shop“ geführt. Symptomatisch auch für die späteren Einkaufstempel war der Kommentar, daß wir nichts kaufen müssten. Natürlich müssen wir nicht, aber wir werden dazu gedrängt. Bei Francis war der Verkäufer auch erfolgreich, denn er mußte sich hier glatt eine Lederjacke kaufen. Ich leistete mir ein Portemonnaie, aber erst nachdem ich den unlauteren Startpreis auf ein fünftel heruntergehandelt hatte. Das war für ein Souvenir, das man auch später im Alltag gebrauchen kann, in Ordnung.

Im nächsten Halt, der Berberapotheke, waren wir sehr viel zurückhaltender. Die zuständige Dame bot allerhand Gewürze, Tees und Arganölprodukte an. Als sie merkte, daß wir keine geldspuckenden Pauschaltouristen waren konnte sie plötzlich kein Englisch mehr. Taylan und ich machten uns lediglich je eine Packung „45 spices“-Gewürzmischungen und etwas Tee klar, nicht ohne den Preis noch gedrückt zu haben.



im Gerberviertel






Medina


Blick in die Moschee und Universität Al-Qarawiyyin (w)





Hühnchen – hier schlachtfrisch



Zufällig des Weges kommende Sehenswürdigkeiten wurden möglichst schnell abgehakt und nur hastig beschrieben, denn hierfür bekam Ali offensichtlich keine Provision. Es folgten noch zwei weitere Shops, einmal für orientalische Gewänder und ein „Schmuck“laden, wobei es hier wirklich nur noch Ramsch zu kaufen gab. Wir waren davon auch schon sichtlich genervt und machten uns einen Spaß aus den Gesprächen mit den Verkäufern. Ali merkte das und schwenkte daher schnell auf das im Laufe der Veranstaltung besprochene Hungergefühl um. Er führte uns jedoch nicht wie erwartet irgendwohin wo wir uns an der Straße irgendwas holen könnten sondern schleppten uns in ein für Touristen hergerichtetes Restaurant (le restaurant PALAIS TIJANI, 51–53 Derb Ben Chekroune) mit nicht unansprechender Athmosphäre, dessen Preise jedoch nicht ganz mit Taylans und Kathas klammen Geldbeuteln konform gingen. Die beiden wollten lediglich einen Tee trinken, was der Besitzer „nicht akzeptierte“. Dies sei ein Restaurant und da müsse man was essen. Alles klar, gehen wir halt wieder. Auf Alis Intervention hin klappte es dann doch. Die beiden kannten sich wohl ganz gut, denn sie gingen während wir aßen ins Separee und unterhielten sich. Wir waren die einzigen Gäste.



Francis und ich genossen das Menü für 120 Dirham inklusive reichhaltiger Vor- und Nachspeise und Tee. Da kann man eigentlich nicht meckern, außerdem war die Tajine mit Hähnchen, Zitrone und Oliven eines der leckersten Gerichte das wir je gegessen hatten. Doch die Stimmung war spätestens bei der Abrechnung eindeutig getrübt: 260 Dirham kostete alles zusammen und wir gaben gemeinsam knapp 300 MAD inklusive Trinkgeld, doch nach dem Gang zur Kasse kam ein anderer älterer Kellner und gab zu verstehen, daß noch weiteres Geld fehlen würde. Jetzt reichte es. Entrüstet verließen wir den Laden und stellten Ali zu rede. Dieser versuchte, sich rauszuwinden, aber hatte damit keine Chance bei uns. Er bat um Entschuldigung, stellte jedoch klar, daß Marokkaner niemals lügen und es bestimmt nur ein Mißverständnis gewesen sei. Sicher doch.

Ende der Veranstaltung. Wir liefen zurück zum Auto, lösten es für 5 Dirham beim Parkplatzwächter aus und machten uns mit Ali noch wie versprochen auf, einen Gaskocher zu kaufen. Der war spätestens jetzt dringend nötig, damit wir die Wiesbadener Konserven verheizen und frisches Essen kochen könnten. Weder in Azla noch in Chefchaouen stießen wir auf die im Internet versprochenen überall in Marokko käuflichen Gaskocher. Ali führte uns in die Neustadt von Fez, wo tatsächlich an jedem Kiosk Gasbuddeln zu kaufen waren. Mit dem passenden Aufsatz legten wir knapp 100 Dirham auf den Tresen und hatten nun endlich eine Kochmöglichkeit. Wir ließen Ali am Schwimmbad neben dem Campingplatz aussteigen. Er gab uns noch seine Handynummer für den Fall, daß wir einmal Probleme haben würden.

Eigentlich wollten wir am Abend, nachdem wir Ali abgeladen hatten, noch einmal mit dem Taxi in die Medina zurück und uns auf eigene Faust umsehen und wie in Chefchaouen die milde Nacht in der Innenstadt verbringen, doch warnte er uns eindringlichst davor. Es sei extrem gefährlich, Überfälle wären an der Tages-, oder eher Nachtordnung. Talyan, Francis und Katha ließen sich von Alis Argumenten anstecken, ich naturgemäß nicht. Doch wurde ich hier überstimmt. Ali nahm uns das Versprechen ab, daß wir heute nicht mehr ohne Begleitung dort hinfahren würden.

Im Marjane gönnten wir uns auf dieses Erlebnis eine weitere Kiste „flag speciale“ und ließen den Tag auf der Wiese neben dem Zelt revue passieren, während wir uns unseren Konservenmahlzeiten hingaben.


vergleichsweise gut erhaltenes marokkanisches Sammeltaxi auf dem Marjane-Parkplatz
verläßliches Erkennungszeichen: Der schiefe Mercedesstern


Sinn?


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