7. August 2009: Nordkapp – Gamvik – Ifjord

Um 1:15 Uhr erreichten wir die Mautschranke an der Nordkapplattform. Wir kamen gerade rechtzeitig zum Sonnenaufgang. Auch wenn es Geld kostet und ganz schrecklicher Mainstream (Hurtigruten-Rentner allenthalben) ist, lohnt es sich, zumindest einmal in seinem Leben dort gewesen zu sein. Der Blick von dem über 300 Meter hohen Felsen aufs Polarmeer und auf die Sonne, die bei unserem Besuch um 1:24 Uhr im Norden aufging, ist beeindruckend. Zumindest wenn der Himmel klar ist, denke ich. Besonders schick war der auf 180 Grad zur Sonne stehende Vollmond, der sich uns zeigte. Für Leute, die sich ein wenig für Astronomie interessieren, war das Spiel der Himmelskörper hier sehr interessant anzusehen. Die Nordkapphalle ist ganz schön anzugucken. Man blickt von der Plattform gerade aus nach Norden auf's Polarmeer und sieht die Sonne aufgehen. So ein Anblick wird einem nur an wenig anderen Orten geboten.

So laut, wie unser Reiseführer das Nordkapp anpries, war es nicht. Kann sein, daß es während der Mitternachtssonne hier anders um die Lautstärke bestellt ist. Wir haben sie um wenige Tage verpaßt. Am Nordkapp geht die Sonne bis zum 31. Juli nachts nicht unter. Macht auch nichts. Ich empfand es trotzdem als beeindruckend, als die Sonne nach vielleicht weniger als einer halben Stunde unter dem Horizont wieder aufging und es nicht dunkel wurde. Wer etwas Ruhe vor Hurtigruten-Besatzung und anderen Pauschaltouristen haben möchte, wandert wie wir einfach 5 Minuten auf die nächstgelegene Landzunge „eins weiter rechts“. Hier kann man auch ohne lächerliche Absperrung aufs Meer und die Klippen runter gucken. Vorsicht: Tretminen alle paar Meter. Da die Nordkapphalle ab ein Uhr morgens zu ist, muß hier wohl schon so mancher seine Notdurft verrichtet haben.

Sonnenaufgang um halb 2.

Knivskjellodden (w) – der eigentlich nördlichste Punkt der Nordkappinsel.

Zirndorfer schmeckt auch auf 71° N gut.

Lediglich eine Schweizerische Caravanbesetzung auf dem Parkplatz vor der Halle nervte. Wir stellten uns zum Pennen gegen drei Uhr nachts in der „Wohnmobilmeile“ zwischen zwei Wohnmobile, um vor der Sonne geschützt zu sein. Anschließend schraubte ich meine DIN-Schilder für Photozwecke ans Auto. Ich machte wirklich keinen Krach. Geht auch schlecht, mit einem Schraubenzieher und sechs Schrauben. Nach einem prüfenden Blick durch die Gardine seitens des Ehemannes schickte dieser wohl sein Weibsvolk vor, um uns böse Menschen zurechtzuweisen. Was wir uns erlauben würden, hier zu „parkieren“, sie würden gerne schlafen. Ich hatte ja nicht einmal den Motor laufen. Ich fragte, mit welchen Geräuschen wir sie denn geweckt hatten. Der Mann, nun hinter seinem Matratzenschoner stehend, grunzte herrschend, wir hätten ihn und seine Frau durch das Abstellen unseres Motors und das Türeschließen geweckt. War aber auch nicht zu erwarten, daß auf einem randvollen Parkplatz einmal ein Motor abgestellt oder eine Tür geschlossen wird. Selbst am Ende der Welt ist man nicht vor Oberlehrern, die mit ihrer unendlichen Lebenserfahrung jüngeren Leuten erklären müssen, wie ebendiese funktioniert, gefeit. Die fahren mit dem Wohnwagen in ferne Länder, um dort den Macker zu machen. Solche Spezialisten sollen zuhause bleiben oder am Vierwaldstätter See den Dicken markieren, da weiß man wenigstens vorher, daß sich solch Klientel dort rumtreibt. Weswegen ich in solchen Gegenden auch keinen Urlaub mache. Zumindest war das das glasklare Zeichen, daß wir wieder im klassischen Touristengebiet angekommen waren.

Nachdem wir uns von Anke und Toby am Campingplatz trennten dauerte es auch nicht mehr lange bis wir endlich am Ziel waren. Die Durchfahrt hat zwar insgesamt ein Vermögen an Gebühren gekostet aber wenn man erst mal vor dieser gigantischen Schlucht steht, und den roten Himmel mit der aufgehenden Sonne um 1:30 Uhr in der Nacht bewundert und sich tatsächlich vor Augen führt, den nördlichsten mit dem Auto erreichbaren Punkt Europas erreicht zu haben, weint man keinem Cent hinterher. Eine derart spirituelle Erfahrung sollte nicht an ein paar Euros scheitern. Lediglich auf die nervtötenden Touristen, speziell auf das erzkonservative Schweizer Spießerpärchen, das uns jungen Radaumachern am Arsch der Welt die Leviten lesen wollte hätte ich verzichten können. Aber: „irgendwas ist ja immer.“

Tagesetappe: 556 km

Am nächsten Morgen waren wir gegen zehn Uhr wach. Wir streunten durch die Nordkapphalle, bis Toby und Anke dazustießen. Tipp: Der Panoramafilm, den man sich im hauseigenen Kino angucken kann war wider Erwarten sehr imposant und es ist daher empfehlenswert, ihn sich anzusehen, wenn man schon mal da ist. Ich trat dem Royal North Cape Club bei. Irgendwann führt mein Weg sicher mal wieder nach Nord-Norwegen. Und dann ist mein Eintritt auf die Plattform kostenlos. Die Mitgliedschaft kostet einmalig 175 NOK, dafür kriegt man einen Anstecker, ein Jodeldiplom, einen Club-Aufkleber und einen Mitgliedsausweis, mit dem man ganz furchtbar andere Leute beeindrucken kann.

3400 km trennten uns von der Heimat.

Wir erfüllten noch schnell unsere Pflicht als Touristen indem wir einige Souvenirs zogen und machten uns dann auf den Weg zurück nach Repvåg, wo Toby seinen Anhänger wieder ankoppeln wollte.

Ich muss sagen, es hat schon was: Morgens aufstehen und feststellen, am Ende der Welt zu sein. Die Stimmung war nun eine ganz andere als einige Stunden zuvor. Die Sonne war schon längst aufgegangen, der Himmel blau und die Mondlandschaft übersät mit Hurtigrutlern, Kindern und sonstigen Pauschaltouristen.

Interessant war zu sehen, wie sich das Bild des Polarmeers verändert hatte. In der Nacht war der Blick zum Horizont glasklar, mittlerweile küsste eine gigantische Wolkenschicht die Meeresoberfläche. Nun konnte ich mir in etwa vorstellen, wie Zeus sich fühlt wenn er auf der Spitze des Olymps steht und durch die Wolken hindurch Blitze auf das Erdenvolk hinabwirft.
Natürlich ließen wir die Gelegenheit nicht aus, die Nordkapphalle mal von innen zu begutachten. Zunächst allein, später noch mal mit Anke und Toby brachten wir die typischen Touristenobliegenheiten wie Souvenirkauf und Museumsbesuch hinter uns. Als Wiesbadener staunte ich nicht schlecht als ich feststellte, dass man dem bourgeoisen Hurtigrutenvolk zum Krabben- und Walfleisch Sekt der Marke „Henkell Trocken“ kredenzte. Wir waren also tatsächlich nicht die einzigen Wiesbadener am Cape Nowhere.

Nachdem wir uns am Nordkapp einigermaßen satt gesehen und –fotografiert hatten ging es weiter. Kurzer Zwischenstopp in Honningsvåg mit Einkauf und Hafenfotos und schließlich weiter nach Ifjord.

Sami-Shop in Honningsvåg


In Honningsvåg zogen wir zum ersten Mal Norwegische Kronen aus dem Geldautomaten. Bisher hatten wir alles mit VISA bezahlt. Desweiteren gab es eine Mahlzeit und wir konsultierten noch einen REMA-Supermarkt. Preisniveau etwa 20 % über dem in Deutschland. Das ist akzeptabel, besonders wenn man bedenkt daß wir in der Finnmark, auf einer Insel und im Touristengebiet waren. In Repvåg fanden die beiden Teams wieder zusammen und fuhren gemeinsam weiter. Es ging bis nach Ifjord, was sich ewig zog. Die Straßen wurden immer schlechter. Dazu kamen Schafe, die sich auf dem warmen Asphalt sonnten, keine Anstalten machten eben diesen zu verlassen und daher umschifft werden mußten. Die Gegend, die wir durchfuhren war trostlos und gleichzeitig faszinierend. Wir fuhren von Dorf 1 zu Dorf 2 mindestens 50 km und beide bestanden aus einer Tankstelle mit wenigen angrenzenden Häusern. Das ganze Dorf war an der Tankstelle versammelt, sie war das Kulturzentrum dieser Orte.

Als wir den Campingplatz in Ifjord erreichten, faßten wir den Plan, bis Gamvik (w) und wieder zurückzufahren und anschließend dort zu campen. Taylan und ich behielten es uns vor, in Gamvik unser Zelt aufzuschlagen, falls sich eine Stelle finden sollte. Gamvik ist meiner Berechnung nach die nördlichste Siedlung auf dem europäischen Festland und der Leuchtturm Slettnes Fyr (w) der nördlichste Punkt des europäischen Festlandes, den man mit dem Auto anfahren kann. Nur die knapp 500 Meter breite Engstelle „Hopseidet“ verbindet die riesige Halbinsel Nordkyn (w) mit dem Rest Europas. Wir fuhren nun also auf der Sackgasse von Ifjord nach Gamvik, der nördlichsten Siedlung auf dem europäischen Festland. Nach 50 km war die Straße nur noch ein aufgeschütteter Gesteinshaufen mit einwandfreier Asphaltdecke. Links und rechts neben der Straße gab es soweit das Auge recht keine Anzeichen menschlicher Zivilisation, von ein paar parkenden Wohnmobilen und der Straße selbst abgesehen. Wir befuhren die Strecke gegen 23 Uhr. Es kamen uns höchstens fünf Autos auf dieser Strecke entgegen. Wäre es wärmer und würde man Gestein gegen Sand austauschen, könnte das auch eine Piste durch die libysche Wüste sein. Wenn hier etwas passiert, dauert es einige Zeit, bis Hilfe kommt.

Wer nur die Mitternachtssonne sehen möchte und nicht das Etikett „Nordkapp“ auf seiner Norwegenfahrt stehen haben muß, dem reicht auch ein Besuch der Gegend rund um den Gamviker Leuchtturm. Das ist kostenlos, nicht viel weniger imposant und hat besonders nachts noch was von „Ich-bin-der-letzte-Mensch-auf-diesem-Planeten“-Atmosphäre. Auch die Straße von Ifjord nach Gamvik kann zur Nachtzeit meditative Wirkung haben, wenn einem auf 120 km fast kein Auto entgegen kommt, in der Mondlandschaft links und rechts der Straße kaum ein Zeichen menschlicher Zivilisation zu sehen ist und es nicht recht dunkel werden mag. Ich fuhr auf dieser Straße wie in Trance, es war ein irreales Gefühl durch dieses absolute Nichts zu fahren. Jeder Autoreisende sollte diese Strecke einmal nachts in der ewigen Dämmerung gefahren sein.

Die wahrscheinlich nördlichsten 123er der Welt

Gamvik selbst ist ein winziges Kaff wie jedes andere in der Finnmark. Erwähnenswert ist eigentlich nur der nördlichste Leuchtturm Europas, den wir selbstverständlich auch fotografierten. Die eigentliche Attraktion ist die Strecke dorthin. Über hunderte Kilometer kein Baum geschweige denn ein einziger Grashalm, nur eine dünne Asphaltlinie durch die Gesteinswüste, die Gamvik mit dem Rest der Welt verbindet. Keks war offenbar so überwältigt, dass er nicht mehr ansprechbar war.

Jedenfalls konnten wir uns nicht sofort drauf einigen wo wir die Nacht verbringen wollten. Keks wollte in Gamvik nächtigen, um am nächsten Morgen einen Gamvikaufkleber abstauben zu können und ich wollte lieber wieder zurück nach Ifjord, weil der Gedanke, die Nacht in einem Geisterdorf zu verbringen mir doch ein wenig zu gruselig erschien. Im Nachhinein, muß ich sagen, bereue ich die Entscheidung ein wenig, aber was soll's.

Wir blieben also nicht in Gamvik sondern fuhren mit Toby und Anke wieder zum Campingplatz zurück, wo wir vor Müdigkeit und Erschöpfung nicht mal mehr unser Zelt aufstellten sondern im Auto pennten. Es war mittlerweile nach ein Uhr morgens.

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