6. August 2009: Runway – Nordkapp
Tagesetappe: 625 km
Nach der üblichen Aufwachprozedur und einer kleinen Mahlzeit ging die Reise weiter, durch das tiefste Nichts. Mit jedem weiteren Kilometer verwandelte sich die Landschaft von Waldgebiet zu Steinwüste. Die Ortschaften lagen teilweise um die 100 km auseinander und hatten meist nicht mehr zu bieten als eine Tankstelle mit integriertem Minisupermarkt. Die einzigen Anzeichen menschlicher Zivilisation waren oftmals die Verkehrsschilder. Aber wenn man aus einem Land kommt, indem sich 82 Mio. Menschen auf engstem Raum auf die Pelle rücken, kann diese Abgeschiedenheit schon ein Segen sein.
Die Runway, in deren Wendehammer wir übernachteten. Wenn Finnland mal gerade nicht Krieg führt, führt hier die Landstraße lang.
Die russische Grenze kommt näher, das merkt man auch an solchen Kleinigkeiten.
Der Weg führte durch den finnischen Wald zum Inarijärvi. Wir hielten noch ein paar Mal zum Einkaufen und Essenfassen an, bemühten uns aber, zügig voranzukommen. Hinter Sodankylä kam es beinahe zu einer rentierbedingten Fahrzeugkollision. Ich konnte nur ausweichen, weil die Rentierherde sich in einer Senke überlegt hatte, über die Straße zu gehen und ich daher die Gegenfahrbahn zum Ausweichen benutzen konnte, von der ich mich vergewissern konnte, daß sie frei war. Es regnete in Strömen und so hätte ich ohne Ausweichmöglichkeit wohl in Tobys Wohnwagen parken müssen.
An einem Supermarkt in Inari entledigte ich mich eines leeren Plastikkanisters. Dieser soll später noch eine Rolle spielen. Besonders gefiel mir die Straße 92 von Inari nach Karigasniemi. Sie führte über knapp 100 km durch die Mitte von Nirgendwo. Es ging ständig bergauf und bergab, aber nie so sehr, daß man seine Geschwindigkeit von 80-90 km/h drosseln müßte oder der Wagen Schwierigkeiten hatte, den Hügel hochzukommen. Es war ein bißchen wie eine ganz große Achterbahn.
Wir fuhren und fuhren und kamen schließlich in Karigasniemi an. Das ist der Grenzort zwischen Finnland und Norwegen.
Wir nahmen eine Brotzeit in einem Burgerladen ein und tankten den Wagen mit Pflanzenöl voll. Dabei achtete ich nicht richtig auf den Trichter und es ergoß sich eine stattliche Menge Öl über den Boden des Restaurantparkplatzes. Da mein Finnisch leider nicht ausreichte, um dem Parkplatzbesitzer die Ungefährlichkeit der Flüssigkeit zu erklären, beschloß ich, die Flucht nach Norwegen anzutreten. Ich gab Toby und Anke den Befehl der unauffälligen Weiterfahrt. Das Öl, das durch den Abfluß in der Tankklappe floß, war noch nicht unter dem Auto hervorgedrungen. Wir packten wieder zusammen, stiegen wie selbstverständlich ein und verließen die Szenerie. Nach 500 Metern und einer Brücke waren wir in Norwegen und trafen uns mit Toby und Anke an einer Haltebucht.
Grenze. Wir blicken von Norwegen auf Finnland und die EU zurück.
Am frühen Abend (bzw. späten Nachmittag) erreichten wir die norwegische Grenze, wo uns auch schon das erste Highlight des Tages erwartete. Das Verwaltungszentrum der Samenbevölkerung (also der „Indianer“ die ich am Vortag im Wald traf) in Karasjok. Schnell ein paar Fotos bei gewohnt guten Lichtverhältnissen und weiter zum Nordkap, das wir unbedingt noch heute erreichen wollten, um das Spektakel der aufgehenden Sonne nicht zu verpassen. Andernfalls wäre die Reise nämlich schon fast umsonst gewesen.
Vor dem Samen-Parlament
Nach Karasjok ging es ohne weitere schuldhafte Verzögerungen in Richtung Nordkapp. Gegen 21 Uhr erreichten wir einen Campingplatz bei Repvåg, unweit des Nordkapptunnels. Dort trennten wir von Toby und Anke, um die Nacht am Nordkapp erleben zu können. Obwohl wir keine Gäste des Campingplatz waren, konnten wir hier für den lächerlichen Betrag von 10 NOK duschen gehen. Die sehr freundliche Besitzerin parlierte perfekt auf Englisch, freute sich über unseren Besuch und wechselte uns jeweils 10 EUR zu einem korrekten Kurs in NOK. Gegen 23 Uhr fuhren wir weiter.
Steuerfreier Diesel, u. a. für Agrarzwecke. Bei umgerechnet 0,92 EUR /L lohnte sich m. E. das Risiko, erwischt zu werden, nicht. Außerdem hatten wir noch etwas von dem günstigeren Pflanzenöl dabei.
Im Hintergrund die Barentssee.
Repvåg Camping
Der Nordkapptunnel (w)
Dieses Bild wurde um 00:15 Uhr aufgenommen
Die letzten ca. 100 bis 200 km entlang der Küste kam ich aus dem
Staunen nicht mehr raus. Die Landschaft erschien insbesondere wegen dem
dunkelroten Sonnenlicht derart surreal, dass man sich in einer Art
dauerhaftem Trancezustand befand.
In einem Reiseführer für Norwegen der Reihe Marco Polo von 1994, den
Taylan dabei hatte, stand sinngemäß: „Fahren Sie nicht zum Nordkapp,
dort ist es laut, teuer und die Mitternachtssonne sieht auch nicht
anders aus als woanders.“ Zumindest letzteres stimmt, solange man zur
richtigen Zeit am richtigen Ort ist. Touristisch ist das Nordkapp
allemal. Es ist weder der nördlichste Punkt Europas noch des
europäischen Festlands – es liegt ja auf einer Insel – aber immerhin
der nördlichste Punkt Europas, der sich ohne Fähre mit dem Auto
anfahren läßt. Dafür kostet es aber auch Asche. 145 NOK mindestens für
eine Tunneldurchfahrt für einen Pkw bis 6 Meter und eine Person, jede
weitere Person 47 NOK und mindestens 140 NOK Eintritt für die
Nordkapp-Plattform pro Person, und das auch nur bei Vorlage eines
Schüler- oder Studentenausweises.
Ein Beispiel für den Unterschied zwischen zivilisierten Ländern und
Deutschland: Bei der Einfahrt zur Plattform achtete ich gar nicht auf
die Preistafel. Ich hatte den regulären Preis im Kopf und dachte gar
nicht an einen etwaigen Rabatt. Der junge Mann im Mauthäuschen fragte
uns, wahrscheinlich ob unseres jugendlichen Charmes, ob wir Studenten
seien. Es gäbe Rabatt bei Vorlage eines entsprechenden Ausweises. Das
war mir in Deutschland noch nie passiert. Dort muß man sich eher
aufdrängen, um einen angebotenen Rabatt tatsächlich auch zu erhalten
oder eine Eintrittspreisliste bis zum unverschämt klein geschriebenen
Ende durchlesen, um überhaupt etwas von einem solchen mitzubekommen.
Taylan lag seinen Studenten- und ich meine (Berufs)schülerausweis vor
und wir durften zum ermäßigten Preis auf die Plattform fahren.