11. Juni 2009: Wiesbaden – Livigno

Ich habe mit Gomez ausgemacht, daß ich ihn gegen 3:30 Uhr morgens bei ihm zuhause abhole. Den Daimler habe ich am Abend vorher reisefertig gemacht, indem ich ihn vollgetankt sowie Öl und Wasser auf Maximum aufgefüllt habe. Um 3:00 Uhr wirft er mich mobiltelefonisch aus dem Bett und teilt mir mit, daß er noch auf eine Party gegangen wäre und ich ihn dort abholen soll. Also unter die Dusche, mein Gepäck ins Auto geworfen, den Diesel gestartet und dorthin gefahren. Vor Ort steigen neben ihm noch Lars und Taylan ein, die mir mitteilen, daß sie hungrig sind. Also noch schnell zum Arkadas und jeder was eingeworfen. Man braucht ja schließlich eine Grundlage für 1000 km Autofahrt. Gomez hat weder Führerschein noch Fahrerfahrung, daher war Fahrerwechsel selbst im Notfall nicht drin. Mit Taylan, der sich am abend reichlich dem Alkohol zuneigte, sprach ich über meine Urlaubspläne im Sommer. Er fand meine Idee, nach Norwegen fahren so toll, daß er mir versicherte, mitzufahren. Ich zweifelte daran, ob er es ernst meinte.

Anschließend also zu Gomezens nach Hause gefahren wo er sich redlich bemühte, seine sieben Sachen zusammen zu suchen. Er hatte noch nichts vorbereitet. Nachdem er sich „absolut sicher war“, nichts vergessen zu haben, machten wir uns auf, die zwei überzähligen Mitfahrer nach Hause zu fahren – nicht daß sie morgen unverhofft in den Alpen aufwachen. Nachdem der erste abgeliefert war, meldete sich Gomez zu Wort und teilte mir mit, daß er doch noch was vergessen hatte. Also wieder zu Gomezens, 15 Kilometer Umweg für nichts. Anschließend noch den letzten überflüssigen Passagier nach Hause gebracht und schon ging es um 5:13 Uhr MESZ los. Der Tacho des Daimlers zeigte 281.012 km an. Voigas bei schwerem Seegang die leere A5 runter bis Basel.

An der Schweizer Grenze kaufte ich für umgerechnet 30 Euro die Vignette und weiter ging’s. Der Schweizer Zoll hatte wohl keine Lust zu arbeiten, er ließ sich nicht mal blicken.

Gomez war zwischenzeitlich auch wieder halbwegs nüchtern und ließ sich auf erste ernsthafte Konversationen ein. Vor dem Gotthardmassiv kaufte sich Gomez an einer Tankstelle auf einem Rastplatz Zigaretten, in der Hoffnung, sie wären günstiger als in Deutschland. Fehlanzeige. 4,40 EUR blechte er umgerechnet für eine Schachtel Pull Moll Red und ließ sich darüber auch gleich im Logbuch des Autos aus: „11:41 Uhr, Krrr CHHHRRR, odr? Alpen sind erreicht, die Schweizer Ficker sind Piraten!“.

Den Gotthardpaß hatte der Daimler mit Leichtigkeit erklommen, wir machten Photos auf der Paßhöhe und verzichteten aufgrund exorbitanter Preise auf Aufkleber und Brotzeit.

Freigefräste Paßstraße auf dem Weg den Sankt Gotthard hoch



See auf dem Sankt Gotthard

Nach dem Abstieg (aufgrund von Straßensperrungen ging es teilweise über die alte Paßstraße) fuhren wir auf der Autobahn weiter. Wir hatten die italienischsprachige Schweiz erreicht. Gomez horchte wieder fleißig an der Kopfstütze, während ich die ersten Züge des italienischen Fahrstils genoß. Wir fuhren weiter zum San Bernadino, der auch mittels Paßstraße genommen werden sollte. Vor dem Paß aßen wir im Paßdorf zu Mittag (Pizzeria Postiglione, 6565 San Bernadino – sehr zu empfehlen!).

Nach der Überwindung des Passes fuhren wir wieder auf die Autobahn bis zum Paßdorf Splügen, in dem wir im Supermarkt einen Kaffee aus dem Kühlregal tankten. Nun ging es auf den Splügenpaß, in dessen Rahmen die schweizerisch-italienische Grenze überschritten werden sollte. Auf der Paßhöhe und somit an der Grenzstation angekommen witterte die Guardia di Finanzia den ganz großen Fang. Nach der Kontrolle unserer Personalausweise durchsuchte er das Auto oberflächlich. Anschließend bat er uns, endlich das Marihuana rauszurücken. Ganz davon abgesehen daß ich, wenn ich etwas schmuggeln würde, das sicherlich nicht im Kofferraum oder auf der Rückbank tun würde, hatten wir kein Gras dabei, da wir beide nicht kiffen. Doch der Zollbeamte ließ nicht ab uns zu belabern, während sein Kollege sich mehr für das fränkische Landbier und den Moselwein interessierte, den ich dabei hatte. Er versuchte uns klarzumachen, daß wir straffrei davon kommen, wenn wir ihm das Zeug gleich geben. Wenn er den Hund holen würde und der was finden würde, kämen wir nach Sondrio ins Gefängnis. Ich konnte ihm leider immer noch kein Dope vorzaubern, und so ging es zum Einzelverhör. Erst Gomez, dann ich. Mich fragte er, wie lange ich Gomez schon kenne, und woher, und ob ich mir sicher sein könnte, daß er nichts dabei habe. Wenn er was dabei hätte, hätte ich nämlich auch ein Problem. Schon blöd wenn man die Hauptstadt Kolumbiens als Geburtsort im Personalausweis stehen hat. Nach 20 Minuten, in denen ich ihn immer wieder bat, doch endlich den Hund zu holen, sagte er auf einmal völlig unerwartet „OK, Ciao!“. Zwei mal vergewisserte ich mich, ob wir wirklich fahren können. „Si, si!“ Auch gut, dann halt weiter. Wahrscheinlich gibt es diesen verdammten Hund nicht mal.

Wir fuhren vom Splügenpaß runter und auf der italienischen Landstraße über Sondrio nach Bormio. Der italienische Fahrstil hatte mich voll und ganz erfaßt. Kein Geschleiche, kein unnötiges Gebremse, kein Oberlehrerturm, einfach fahren so schnell wie es die Situation erlaubt, hin und wieder überholen (und zwar wenn frei ist, nicht wenn es gerade kein Verbot gibt) und schnellere Fahrzeuge (also in den meisten Fällen Motorräder) passieren lassen. Schilder lesen kann man sich sparen, man wäre der einzige der das täte, und wenn man sie befolgen würde, würde man sich mit 30 km/h geringerer Durchschnittsgeschwindigkeit als der Rest bewegen. Die Menschen fahren miteinander, nicht gegeneinander. Immer wurden wir schon aus der Ferne per Lichthupe oder Handzeichen vor den Carabinieri gewarnt, die am Straßenrand standen und Verkehrskontrolle machten. (Selten vorkommende) Fehler anderer Verkehrsteilnehmer werden hier großzügig verziehen und die (Licht)hupe wird nicht als Beleidigung, sondern als Signal verstanden: „Ich bin da“, „Paß auf“, „Ich möchte überholen“. Nur hin und wieder störte ein planloser deutscher oder österreichischer Autofahrer, der das System noch nicht ganz begriffen hatte.

Gegen 20:00 Uhr erreichten wir Bormio und setzten via Passo di Foscagno nach Livigno über. Das ist ein verschlafenes italienisches Skiörtchen, das eine Besonderheit besitzt, die bei der Durchfahrt nur dem Autofahrer auffällt: Es werden keine Zölle und Steuern erhoben. Auf meiner ersten Alpentour 2008 fuhr ich, ohne etwas Böses zu ahnen, durch diesen Ort. Ich fragte mich, warum die italienische Zollstation schon vor dem Dorf lag und an der ersten Tankstelle traf mich der Schlag: Diesel 1,02 EUR /L. Das war damals sensationell günstig, da man in Deutschland über 1,50 EUR pro Liter bezahlte. Leider waren wir damals schon auf der Rückreise und konnten mangels Bargeld dort nicht tanken. Wenn man außerhalb der regulären Tankstellenöffnungszeiten nach Livigno fährt muß man sich nämlich mit Tankomaten zufrieden geben, die weder VISA- noch Maestro-Karten akzeptieren. Diesmal sollte dies aber geschehen. Ich steckte 60 Euro in den Tankomaten und konnte dafür etwas weniger als 90 Liter tanken. Ich ließ bei 281.905 km für 0,669 EUR /L den Tank voll und den Kanister gleich dazu, so viel wie von meinem Geld noch rein ging. Die Zapfsäule schaltete automatisch ab. Der 80-Liter-Tank aus einem 280CE, den Besold und ich dem Auto einen Monat zuvor verpaßten, hatte sich bewährt. Ich war mit einer Tankfüllung 934 km weit gekommen und es waren noch mehr als 4 Liter im Tank. In Livigno herrschen übrigens Festpreise. Es ist völlig egal, welche Tankstelle man anfährt. Man kann also ganz beruhigt die erstbeste nehmen und dann wieder zur Grenze zurückfahren, wenn man nicht mehr will als nur tanken. Über die Hälfte der Tankstellen sind sowieso „self-service“ und haben keinen Shop.



Photobeweis

Die Sonne ging während unseres Aufenthalts in Livigno unter. Wir fuhren nach Bormio zurück – der Zollbeamte war alleine im Häuschen und mit Solitär oder ähnlichem beschäftigt und interessierte sich nicht für uns – und suchten einen Nachtplatz, was nicht sehr erfolgreich war. Nach ungefähr einer Stunde gaben wir es auf, fuhren auf den Paß zurück und stellten uns auf einen Parkplatz am Wald, wo wir noch ein paar Biere tranken und dann im Auto pennten.

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